zur Erinnerung
30 Jahre Deutsche Einheit, Zeit für eine Zwischenbilanz

Nachgefragt

So sehe ich das!

Heute antwortet: Veronika Kelle, 68, Dessau-Rosslau Ist seit 44 Jahren verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkel

Was hat Ihr Leben bis 1989 geprägt?
Jeder hatte Arbeit und man hat ruhiger gelebt. Es war nicht so ein Stress. Es wurde viel mit den Kindern unternommen, auch in der Gemeinschaft.
Man brauchte sich keine Sorgen zu machen.

Wie verbrachten Sie Ihre Freizeit?
Nach dem Feierabend um 16 Uhr holte ich die Kinder ab, halb fünf waren wir zu Hause. Viel Zeit für Hobbys blieb dann nicht.
Aber am Wochenende haben wir viel gespielt, oft Karten. Bei schönem Wetter ging's in den Garten.

Welchen Beruf haben Sie gelernt?
Ich wurde Industriekauffrau, habe aber nie in dem Beruf gearbeitet. Ich wollte mit Kindern arbeiten und habe mich weitergebildet zur Erziehungshelferin. 15 Jahre war ich im Hort tätig.

Wovon Träumten Sie?
Vom Reisen, von Urlaub, vielleicht von einem Auto. Aber das gab es schwer. Viel Geld hatten wir nicht.

Was haben Sie vom Begrüßungsgeld gekauft?
Das Buch "Das doppelte Lottchen", einen Walkman und Kaugummi. Alles für meine Kinder.

Welche Meinung hatten Sie zur Wiedervereinigung? Und welche haben Sie heute?
Ich fand die Wiedervereinigung ganz gut. Heute denke ich, es hätte etwas besser ablaufen sollen und manches auch von der DDR übernommen werden können.
Es wird vieles neu erfunden, obwohl es manche Sachen schon gab, nur unter anderem Namen.

Wie ging es nach 1990 beruflich für Sie weiter?
Da ich keine Ausbildung als Erzieherin hatte, wurde ich entlassen. Dabei war das mein Traumberuf.
Ich habe mich viel beworben, wurde dann Schulassistentin. Nach zwei Jahren wurde ich wieder arbeitslos und fand nichts mehr. Entweder weil mir Berufserfahrung (als Industriekauffrau)fehlte oder weil ich schon zu alt war. Mit 63 ging ich mit Abstrichen in Rente.
Heute würde man mich im Hort anstellen.

Was ist in den zurückliegenden 30 Jahren aus Ihrer Sicht gut, was schlecht gelaufen?
Für die, die Arbeit hatten, ist es nicht schlecht gelaufen. Aber bei meinem Mann und mir war es nicht so.
Mein Mann war auf Montage und ich war arbeitslos, so dass wir zusätzlich Hartz IV beziehen mussten. Reisen oder Ähnliches war uns nicht möglich.

Hätten Sie in Ihrem Leben gern etwas anders gemacht?
Ich hätte sicherlich alles so gemacht, wie es war. Es waren eben andere Zeiten. Das sagt man doch immer.

Was wünschen Sie sich?
Im Moment wohnen wir noch in einem Haus. Das wird für uns aber beschwerlicher. Deshalb wünschen wir uns eine schöne Zweiraumwohnung mit Balkon.
Wir freuen uns auch darauf, bald wieder ins Pitztal nach Sankt Leonhard (Österreich) fahren zu können sowie endlich wieder ins Anhaltische Theater gehen zu können. Theater ist meine große Leidenschaft.

Wen hätten Sie ohne Wende nie kennengelernt?
Ich habe meine Tante und meine Cousine aus Sankt Goar (Rheinland-Pfalz) kennengelernt und auch tolle Freunde im Pitztal gefunden.

Welchem Ostprodukt sind Sie treu geblieben?
Melange-Kaffee, Spee und Rotkäppchen-Sekt.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 22.01.2023 - 11:08